
Reportage: Auf den Spuren des Giftgolds im Amazonas-Regenwald
- Ein Artikel von Miryam Nadkarni
- Unterwegs
Tief im Herzen des Amazonasgebiets stoßen wir auf zerstörte Natur – und auf Menschen, die sie mit aller Kraft verteidigen. Eine Reise zu Goldminen und den Kayapó-Indigenen.
Es ist ein wackeliger Flug. Wir sitzen eingepfercht in einem Zehnpersonen-Flugzeug und hoffen inständig, dass die Wirkung der Übelkeitstabletten anhält und wir unsere Notfall-Plastiktüten nicht nutzen müssen. Gerade sind die Turbulenzen besonders heftig, da ruft der Pilot plötzlich “Garimpo, Garimpo!”. Wir drehen uns alle auf unseren Sitzen um und schauen gespannt aus dem Fenster.
Was wir sehen, macht unsere Mägen noch flauer. Die letzten zwei Stunden sind wir über den teilweise unter Wolken verborgenen, schier endlosen Amazonas-Regenwald geflogen – doch jetzt lichtet sich die Wolkendecke und unter uns klafft eine riesige Wunde im Wald. Rötlich gelbe Sand- und Schlammgruben, soweit das Auge reicht, mit zahlreichen teilweise bläulichen Wasserbecken. Fast könnten sie schön aussehen, aber wir wissen: Wasser und Böden sind mit Chemikalien und Schwermetallen verseucht.

Wie Giftgold den Amazonas-Regenwald zerstört
“Garimpo” – so nennt man in Brasilien illegale Goldgräber:innen im Amazonasgebiet. Und die haben hier ganze Arbeit geleistet. Mit Baggern rücken sie auch in die entlegensten Ecken des Regenwaldes, graben ihn um, zerstören Pflanzen, Tiere und den Boden. Besonders bitter: Sie nutzen hochgiftiges Quecksilber, um das Gold aus den Sedimenten zu lösen. Dieses Schwermetall gelangt in Böden und Gewässer, vergiftet Fische, Säugetiere sowie Amphibien und reichert sich in der Nahrungskette an. Menschen nehmen es über die Nahrung auf. Das Nervengift kann bei uns schwere neurologische Schäden, Blindheit und Missbildungen verursachen. Besonders gefährdet sind ungeborene Kinder, die Schäden sind unheilbar. Und die Gebiete, in denen die Goldgräber:innen unterwegs sind, sind oft nicht unbewohnt, sondern indigene Territorien.
Und hier hat die Umweltzerstörung ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Eine Studie zeigt, dass 84 Prozent der Menschen in den untersuchten Yanomami-Dörfern Quecksilber ausgesetzt waren. Auch bei den indigenen Munduruku wurde bei 60 Prozent der Personen ein Quecksilberspiegel festgestellt, der über dem Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation liegt. Eine weitere Studie nahm Proben von Fischen – eine der Hauptproteinquellen für Menschen im Amazonas-Regenwald – von Fischmärkten in 17 Städten in der Region. Jede fünfte Probe wies zu hohe Quecksilberwerte auf.

© Samara Souza / Greenpeace
Illegale Goldmine im Gebiet der Kayapó-Indigenen
Greenpeace im Kampf gegen die illegalen Goldminen
Während der Pilot über den Minen Kreise dreht (und unsere Mägen gleich mit), machen wir und die mitgebrachten Journalisten so viele Fotos wie möglich. Das hier ist die einzig sichere Möglichkeit, an Bildmaterial zu kommen. Am Boden können wir uns den Minen nicht nähern, denn das Risiko, angegriffen zu werden, ist zu hoch. Immer wieder greifen die Garimpos Menschen an, die sich ihnen in den Weg stellen – wir wollen nicht die nächsten sein. “Habt ihr alles im Kasten?”, fragt unser Pilot Fernando nach der dritten Runde. Das haben wir. Zum Glück.
Zusammen mit ausgewerteten Satelliten-Daten schicken unsere Kolleg:innen aus dem brasilianischen Greenpeace-Büro diese Recherche später an die Behörden Brasiliens – damit unterstützen wir den Kampf gegen den illegalen Goldabbau. Der Bergbau ist in indigenen Gebieten grundsätzlich verboten. Die Regierung unter dem derzeitigen Präsidenten Lula da Silva schickt regelmäßig Patrouillen in die Territorien, die dann die Minen dicht machen und die Bergbaumaschinen zerstören.
Aber es ist nicht leicht, das Problem in den Griff zu bekommen. Eine aktuelle Greenpeace-Recherche zeigt, dass die Garimpo ein Katz- und Mausspiel mit den Einsatzkräften spielen: Wird eine Mine geschlossen, weichen sie auf andere Gebiete aus. Denn der Bergbau ist so lukrativ wie nie zuvor – allein 2024 ist der Goldpreis um 44 Prozent gestiegen. Und so lohnt sich die Suche, obwohl in einer Tonne Boden des Amazonasbeckens nur ca. 0,4 Gramm Gold zu finden sind und die Goldgrabenden somit riesige Mengen Regenwald umgraben müssen, um genug zu finden.
Das geschürfte Gold gelangt häufig auf dubiosem Weg auf den Weltmarkt, wird mit anderem Gold vermischt und neu raffiniert, sein Ursprung verschleiert. Am Ende wird es vor allem in der Schmuck- und Uhrenindustrie, als Reserve der Zentralbanken sowie als Wertanlage verwendet.
“Den Goldabbau im Amazonasgebiet zu stoppen, ist nicht nur Brasiliens Aufgabe, sondern eine internationale Verantwortung”, sagt Harald Gross, Amazonas-Experte von Greenpeace. “Die Aufgabe von Brasiliens Regierung ist, die Rechte der Indigenen zu stärken und die Armut zu bekämpfen, die die Goldgräber in die Minen treibt. Gleichzeitig müssen sich internationale Regierungen, darunter auch die Bundesregierung und die EU, dafür einsetzen, dass Händler:innen und Raffinerien ihre Lieferketten offenlegen, um sicherzustellen, dass dieses Giftgold nicht mehr auf unsere Märkte gelangt.”
Im Dorf Piaraçu, im brasilianischen Amazonas-Regenwald
Dorfälteste erzählen von Waldzerstörung
Drei Kinder toben über den Platz im Dorfzentrum. Plötzlich flattert es um uns herum, als sich hunderte gelbe Schmetterlinge in die Luft schwingen. Träge Hunde dösen im Schatten der Bäume, ein zahmes Wildschwein durchstöbert den Boden. Unter einem schattenspendenden Dach haben sich die Dorfältesten versammelt – manche in traditioneller Kleidung, andere in T-Shirts und Shorts. Wir sind im Dorf Piaraçu in Capoto Jarina. Es liegt im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, im Herzen Brasiliens im Westen des Amazonas-Gebietes. Die Region gehört zum Siedlungs- und Schutzgebiet der indigenen Kayapó, geprägt von dichter Regenwaldlandschaft, Flüssen und einer weitgehend unberührten Natur – noch.
So idyllisch die Atmosphäre im Dorf, so real die Bedrohungen für seine Bewohner:innen. Die Dorfältesten erzählen von Goldminen, die sich immer weiter in indigenen Gebieten ausbreiten. Von den Pestiziden, die nahe des Dorfes versprüht werden, die die Luft verpesten, Pflanzen vergiften und Insekten töten. Von den näher rückenden Rinderweiden und Sojafeldern. “Ihr sehnt euch nach Frieden in euren Städten; wir möchten doch nur denselben Frieden in unseren Dörfern”, sagt einer der Kayapó-Anführer Kiabieti Metuktire Beko Metuktire.
Erfolge
Good News im Einsatz gegen illegalen Goldabbau
Es gibt auch immer wieder Ansätze, die Mut machen. So hat der Oberste Gerichtshof Brasiliens im März 2025 ein Gesetz für den Schutz indigener Rechte verabschiedet: Erstaufkäufer:innen, also die Händler:innen, die das Gold direkt aus den Minen kaufen, sind ab jetzt verpflichtet, die legale Herkunft ihres Goldes nachzuweisen. Können sie dies nicht, sind sie haftbar. Zudem muss die Regierung strengere Kontrollen im Goldhandel umsetzen, besonders in indigenen Gebieten und Schutzregionen.
Auch hat die letzte Weltnaturkonferenz die Bedeutung indigener Gemeinschaften für den internationalen Naturschutz gestärkt. Sie sollen nun bei Umweltfragen verstärkt Gehör finden und ihr Wissen aktiv einbringen können.
In diesem Jahr wird die Weltklimakonferenz in Brasilien abgehalten – direkt am Rande des Amazonas-Regenwaldes. Damit bietet die COP30 eine einmalige Gelegenheit, den Schutz von Natur und Klima zu vereinen.
Amazonas-Regenwald kurz vor dem Kipppunkt
Für unseren Rückflug gibt der Amazonas-Regenwald noch mal alles: grünes Baum-Meer bis zum Horizont, riesige Flüsse, die sich durch den Wald schlängeln, und wir können dabei zusehen, wie sich ein Regenbogen bildet. Doch dann nähern wir uns unserem Ziel Sinop – eine Stadt, die durch Agrarwirtschaft reich geworden ist.
“Plötzlich dominiert die gerade Linie”, sagt Gross und blickt auf die quadratischen Felder und Rinderweiden, die jetzt das Landschaftsbild prägen. Dass das mal alles Regenwald war, lässt sich nur anhand vereinzelter trauriger Wald-Überbleibsel erahnen. Der Ausblick wirkt jetzt ähnlich, wie wenn man über Deutschland fliegt. Zwar keine Raps-, dafür aber Sojafelder, soweit das Auge reicht.
Über 17 Prozent des Amazonas-Regenwalds wurden bis heute zerstört. Das klingt vielleicht noch nicht so schlimm, aber: Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass der Regenwald seinen Kipppunkt erreicht, wenn wir 20-25 Prozent der Waldfläche verloren haben. Ist dieser Punkt einmal erreicht, gibt es nicht mehr genug Baumfläche, um den Wasserkreislauf des Waldes aufrechtzuerhalten.
Gold ist nicht der größte Treiber der Regenwaldzerstörung, auf Platz 1 ist immer noch die Fleischproduktion. Aber die aktuelle Greenpeace-Recherche zeigt, dass in den letzten beiden Jahren allein in vier untersuchten indigenen Gebieten über 4000 Hektar für Goldminen zerstört wurden. Und: Gold ist vielleicht der unnötigste Grund, um ein Ökosystem zu vernichten, von dem wir alle abhängen. “Der unkontrollierte Goldhunger vergiftet Menschen, Tiere und Pflanzen, zerstört den Amazonas-Regenwald und bedroht damit auch das globale Klima – und wofür? Für Statussymbole und Goldbarren, die in Banktresoren verstauben", sagt Gross.
„Der Regenwald und die Flüsse sind seit Generationen unsere Lebensquelle. Menschen auf der ganzen Welt müssen verstehen: Wir können nicht ohne die Natur leben – sie schenkt uns Leben und Schönheit. Ihre Zerstörung mitanzusehen, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Deshalb müssen wir weiter kämpfen – um unsere Bäume, unsere Flüsse und unser Land zu schützen."